Hey, ich bin Daniela und darf euch von meinem zweiten Aufenthalt in Uganda, diesmal für drei Wochen erzählen. Falls ihr meinen ersten Beitrag nicht gelesen habt, tut das gerne, dann kann ich darauf aufbauen. (Diesen findet ihr hier: "Hebammen im Slum-Uganda".)
Nach den prägenden vier Wochen im Jahr 2021 war für mich klar, dass das nicht das letzte Mal für mich in Uganda gewesen ist. Als Diane im August für Janas Hochzeit nach Deutschland kam und wir eine Woche zusammen beim Sightseeing und Ikea-Shopping verbrachten, war das Feuer wieder am brennen.
Frage war nur: fliege ich alleine?
In einer Nachtschicht im Kreißsaal Osnabrück erzählte ich einer der Schülerinnen, Flo, die kurz vor dem Abschluss war, dass ich vor hatte wieder nach Uganda zu fliegen.
„Boa, das würde ich am liebsten auch machen. Aber ich finde einfach keine Organisation, die das anbietet.“, meinte sie, woraufhin ich ihr anbot sie mitzunehmen falls Diane einverstanden wäre. Diane war, wie immer, sehr unkompliziert und 3 Monate später saßen Flo und ich im Flieger nach Uganda. Trotz meiner verhältnismäßig kurzen Afrikaerfahrung fühlte ich mich wie eine Expertin. Es fühlte sich an wie "nach Hause kommen".
In den Wochen haben wir sechs Geburten und gefühlte 1.000 Schwangerenvorsorgen zusammen mit Diane und ihrem Team gemacht. Das Team hat sich um Prossy, eine einheimische Hebamme, vergrößert. Ich und ein paar Freundinnen dürfen ihr Gehalt spenden und können so auch aus Deutschland weiter zu der Arbeit beitragen.
Ich habe mich direkt wieder wohl gefühlt. Der ganze „deutsche Stress“ ist nach und nach abgefallen. In Deutschland heißt es: hier und da sein, überall gleichzeitig, überall pünktlich, nichts verpassen, keine Pausen.
Uganda ist anders: Selbst wenn du es versuchst, bist du nicht pünktlich und wenn du es doch bist, stehst du alleine da und kannst warten, weil es sonst keiner ist. Pausen gehören natürlich zum Arbeiten dazu und keiner guckt komisch, wenn du mal eine halbe Stunde rumsitzt und einfach „nur“ nachdenkst. Die ersten Tage hetzt man noch wie ein gescheuchtes deutsches Huhn durch die Klinik und alle fragen sich was mit dir nicht stimmt. Dann lernst du nach und nach, dass Pausen, Essen, mit den Kollegen quatschen, und mal kurz einfach NICHTS tun auch zum Arbeiten dazu gehört. Natürlich geht dann alles ein bisschen langsamer, aber dafür nimmt man sich mehr Zeit für den Einzelnen, für Mitmenschen, für sich selbst und auch für Gott.
Ein paar besondere Erlebnisse möchte ich im Folgenden wieder mit euch teilen.
Bild: Versorgung in Amani sowie HIV-Tests
Banda Island
Das erste Wochenende haben Diane, Flo und ich zusammen auf einer Insel der "Ssesse-Islands" verbracht. Kleine Inseln im Lake Victoria, wunderschönes Karibik-Feeling. Man kommt sich vor wie auf Sansibar. Als wir am Freitag zum Sonnenuntergang ankamen, am Samstag in der Regendusche unter freiem Himmel duschten oder zum Sonnenaufgang am Strand schwimmen gingen, waren wir uns sicher, dass wir im Paradies waren.
Doch das ist nur der erste Blick. Der zweite sieht anders aus.
Wir sind am Samstag drei Inseln abgefahren und haben den Müttern einen kurzen "Info-Schwangeren-Vortrag" gehalten und ihnen sterile Geburtspackete verteilt. Auf zwei der Inseln gab es keine medizinische Einrichtung, die Schwangere betreuen konnte. Das nächste Krankenhaus, in dem ein Kaiserschnitt gemacht werden kann, war eine Stunde mit dem Boot entfernt.
Ich musste häufiger an die Jünger Jesu im Boot bei Sturm und Regen denken. Nur anstatt von 12 Jüngern, sah ich eine sich in Wehen krümmende und schreiende Frau und einen verzweifelten Mann, der versucht sie im Dunkeln bei Wind und Wetter ins Krankenhaus zu bringen. Schrecklich. Gruselig.
Auf dem Rückweg am Sonntag haben wir im hellen einen „kleinen“ Sturm miterlebt.
„Gar nicht so schlimm“, meinten die Einheimischen, während Flo und ich unser Ende herannahen und uns mitsamt Fischerbötchen kentern sahen. Respekt an die Leute in den Fischerdörfchen.
Als wir am Samstag schon fast zurück von unserer Inseltour waren, kam mir die Idee statt direkt zu unserer Unterkunft zu fahren, das Dorf auf unserer Insel anzusteuern und zu Fuß die ein bis zwei Kilometer über die Insel zurück zu gehen. Trotz des anstrengenden und heißen Tages waren alle einverstanden.
Gerade als wir los wollten, kam eine Frau zu uns und bat um Hilfe für ihre Schwester, die eine Fehlgeburt, starke Schmerzen und starke Blutungen hatte. Als wir hin kamen, stellte sich uns die Angestellte der Apotheke in den Weg, in deren Hinterzimmer die Frau lag. Nachdem wir erklärt hatten wer wir sind, ließ sie uns mürrisch durch und meinte nur, dass die Frau sie trotzdem bezahlen müsse. Das war okay für uns. Bei der Frau angekommen und weitere zehn Minuten später hatten wir die Lage erfasst. Die Fakten: die Frau lag auf dem nackten Betonboden ohne Kissen/Decke/etc, sie hatte starke Schmerzen und leichte Blutungen, es war eine Frühgeburt und keine Fehlgeburt und sollte deshalb schleunigst in ein Krankenhaus. Die Frau war kurz vorm Gebären, aber das Kind lag quer und konnte deshalb nicht herauskommen. Wenn wir nichts tun würden, würde also zuerst das Kind sterben und dann ein paar Stunden später höchstwahrscheinlich auch die Mutter. Als wir das der Angestellten erzählten und begannen die Frau für einen Transport fertig zu machen, sagte diese nur, dass sie uns erst gehen lassen würde, wenn sie das Geld hätte. Nachdem dann endlich alles geklärt war, ging es los. Die Frau konnte gerettet werden. Das Kind fast… es verstarb nur fünf bis zehn Minuten vor Eintreffen im Krankenhaus.
Diese Situation hat mich sehr mitgenommen und berührt mich immer noch tief. Was wäre, wenn wir zehn Minuten früher da gewesen wären? Hätte das Kind im Krankenhaus eine Chance gehabt? - In Deutschland schon. Dort wäre das nicht einmal sonderlich schlimm gewesen. Drei bis vier Wochen Frühgeborenenstation, aber nichts worüber wir uns große Sorgen gemacht hätten. Routine. In Uganda ist das nicht so.
Ich bin Gott dankbar für unsere Versorgung und ich frage mich immer wieder, ob wir ein Recht haben über das Gesundheitssystem in Deutschland zu meckern. Auf jeden Fall sollten wir mehr Danken als Meckern.
Apac
In Apac waren wir wieder für drei Tage. Ähnlich wie letztes Mal sind wir durch Sumpf gewatet, haben auf dem Boden geschlafen, leckeren Mais und frische Mangos gegessen und mit der Familie das Leben geteilt. Wir haben auch dort im Dorf an einem Gottesdienst teilgenommen. Obwohl ich kein Wort außer „Apoyo“ (Danke) verstanden habe, habe ich den tiefen Frieden und die Verbundenheit mit anderen Gläubigen gespürt und aufgesaugt. Gott schafft halt Verbindungen über Kultur, Sprache und Nationalität hinaus.
"Gaga" (Dschadscha ausgesprochen), die etwa 100-jährige Oma von Jennifer, unserer Freundin, war wie letztes Mal ein Highlight. Unglaublich wie toll man im Alter, trotz all dem Schlimmen, dass man durchgemacht hat sein kann. Als sie uns sah, fing sie an ein Loblied zu singen. Einfach so. Ohne Vorwarnung. Den ganzen Tag machte sie das. Wenn man an ihr vorbei ging, nahm sie die Hände in ihre alten und wartete bis man zur Ruhe kam. Und dann wurde ein Dankgebet vorgesprochen, dass man nachsprechen durfte. Außer „Apoyo Jesu“ (Danke, Jesus) habe ich wieder nichts verstanden, aber ich wusste, dass es ein Gebet war. Das tat sie bestimmt 100x an einem Tag, mit mir, Flo, Diane, ihren Kinder, Enkeln und Urenkeln. Als ihre zwei Schwestern dazu kamen, auch beide sehr alt, ging es so weiter. Quatschen, Lachen, Beten, Tanzen und Loblieder singen und dann wieder von vorne.
Wenn ich mir meine Beziehungen anschaue, wundere ich mich manchmal wie wir es schaffen, so wenig mit anderen Menschen zusammen einfach zu beten. Natürlich; ohne Zwang.
Okay, vor dem Essen schaffen wir das noch. Aber warum nicht aus Dankbarkeit, dass wir den anderen sehen? Oder einfach, weil wir uns gerade über etwas gemeinsam freuen? Unsere deutsche, anerzogene Steifheit hält uns vielleicht vom einfach drauf lostanzen ab (wäre wahrscheinlich auch etwas komisch), aber Gott danken sollte doch eigentlich drin sein, oder?
Kleiner Funfact: Ich habe in Apac von der Familie ein Huhn geschenkt bekommen. Ich war, um es milde auszudrücken, überfordert. Naja, das Huhn sollte dann eigentlich eine Spende für das Weihnachtsessen von dem "Amani Family Center" sein, aber es hatte das anscheinend geblickt, fing ab dem Zeitpunkt, in dem es in meinem Besitz kam, an jeden Tag ein Ei zu legen und war damit zu wertvoll zum Schlachten. Glückgehabt. Wir haben gesagt, dass das Huhn gewusst hat, dass es jetzt einer Hebamme gehört und deswegen auf einmal so legemotiviert war.
Ich hoffe, ihr konntet ein bisschen Mitfühlen und sehen, was mein Herz in der Zeit in Uganda bewegt hat. Während ich das schreibe, zittere ich innerlich, weil die Gefühle, Bilder und sogar Gerüche wieder hochkommen. Es ist ein positives Zittern voller Ehrfurcht vor Gott und Liebe zu seinen Kindern in Uganda. Es lässt mich mich näher an Gott kuscheln, weil ich in seiner Nähe ihm alles Gemeine, Gleichgültige und Schlimme anvertrauen kann, von dem ich dort umgeben war. Aber ich kann ihm auch danken. Ihn fest zurückumarmen, um ihm zu sagen, dass er mich dadurch geprägt hat. Um ihm zu danken, dass er seine Kinder dort auch festhält und ihnen Freude und Frieden schenkt. Und dann bitte ich ihn mit einem Lächeln, dass ich wenn ich alt bin, so werde wie Gaga: lebensfroh, verrückt und vor allem vollkommen erfüllt von Bewunderung gegenüber meinem Schöpfer, der mich durch dieses wirre Erdenleben geführt und getragen hat.
Autorin: Daniela Bergen
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